Vor langer Zeit hörte ich mal bei einen Wissenschaftler in einem Vortrag die Aussage: "Die Zeit ist eines der besten Geschenke des Schöpfers". Damals konnte ich mit dieser Aussage überhaupt nichts anfangen. Für mich klang es eher gegensätzlich zur Realität. Denn ich bin gelehrt worden, dass die Zeit dafür sorgt, dass das Leben endlich ist. Und das wiederum sei eine Folge der ersten Sünde eines Menschen. Unser Leben sei dazu bestimmt, daran zu arbeiten, für die Ewigkeit bereit zu sein.
Man kämpfte da eher mit dem Begriff "Ewigkeit", die wir Menschen uns verscherzt hätten. Und nun lebte man zwangsläufig in der Zeit, aber immer im Streben, bereit zu sein, um nach dem irdischen in die Ewigkeit mit Gott im Bunde verleben zu dürfen.
Mich hat diese Lehre in meinem Leben sehr beeinflusst. Denn ich hatte Angst, es nicht zu schaffen und strengte mich an, die Regeln, die mir auferlegt wurden, zu erfüllen. Und weil ich diese immer nur eingeschränkt erfüllen konnte, war ich ständig unter diesem Druck, es richtig zu machen und immer mit dem Gefühl behaftet, zu versagen.
Das hat sich auch auf meine ganz irdische Arbeitsweise ausgewirkt und einfach mein ganzes Erleben. So hangelte ich mich quasi von einem Highlight zum anderen. Und empfand die Zeiten dazwischen als Tal, welches ich überwinden müsste.
Erst als ich die Fünfziger-Marke meiner Lebensjahre schon überschritten hatte, wurde ich langsam dazu fähig, in der Gegenwart den Sinn meines Lebens zu erkennen. Weil ich nämlich erkannte durch viele verschiedene Puzzleteile aus verschiedenen Botschaften, dass die Ewigkeit nicht erst nach dem irdischen Leben erfahrbar ist, sondern genau in der Gegenwart zu finden ist. Da wo ich mich gerade befinde. Ich musste quasi mich selbst erst einmal finden, um den Sinn des Lebens zu erkennen und in ihm auch den Schlüssel zur Ewigkeit. Damit ist für mich nicht Gott ausgeschlossen, wie viele Christen vermuten. Sondern ich kann gerade an diesem Punkt Gott spürbar erleben. Das ist dann allerdings außerhalb der Kontrolle anderer Menschen.
Aber das ich heute gerade nicht mein Thema, obwohl es ein sehr komplexes Thema ist, das eben auch den Ausgangspunkt zu meinem jetzigen Thema ist.
Denn jetzt langsam beginne ich zu verstehen, welches Geschenk uns Menschen mit der Zeit gegeben wurde. In meiner Arbeit neige ich immer noch dazu, die Gesamtsumme der überschaubaren Zeiten übermäßig zu bewerten. Ich sehe das Volumen und kann die Qualität oft nicht mehr erkennen. Wenn ich mich von dem Gesamtbild bestimmen lasse, dann habe ich das Gefühl, die Anforderungen niemals zu schaffen und ständig den Eindruck, in der Gegenwart zu versagen.
Für mich ist es, nach der jahrezehntelangen Konzentration auf die Highlights der Zukunft und des Versagens in der Vergangenheit, immer eine Aktion, zu der ich mich überwinden muss, speziell die Ressourcen der Gegenwart im Blick zu haben. Wobei ich der Zukunft sowie die Vergangenheit einen Platz in die hinterste Reihe zuordne und mich auf die Gegenwart konzentriere. Ich muss das täglich neu üben, weil es mir eben nicht angeboren ist.
Aber es funktioniert in jeder Beziehung. Besonders da, wo ich mit Gott rechne in meinem Leben. Nicht mein Versagen und nicht die Menge der Arbeit bestimmt dann mein Empfinden, sondern die Gaben und die Schönheiten, welche mir in den Weg gelegt wurden, für jeden Tag neu - und die Kraft Gottes, welche die Mängel meines ganz persönlichen Lebens ausfüllt. Gerade so viel, wie ich JETZT und HIER brauche - nicht mehr und nicht weniger, aber immer genug.
Für mich, die ich eine lange Zeit meines Lebens auf die Ewigkeit in der Gesamtheit des Lebens und darüber hinaus konzentriert war, ist diese Welt der Gegenwart oft so faszinierend, dass ich mich in eine neue Welt versetzt fühle. Ich denke, es ist das, was Jesus meinte mit der Aussage, dass der Himmel mitten unter uns ist.
Für mich bedeutet es das. Auch wenn jetzt etliche Theologen mir ein ganz anderes Bild dieser Aussage aufdrücken wollen. Denn die Erkenntnis, dass der Himmel auch in meiner Gegenwart zu finden ist, macht mich frei von theologischen Spitzfindigkeiten, um die sich die Glaubenden oft bis zum Geht-nicht-mehr streiten und nie zu einem Ziel kommen. Ich brauche keine Theologie mehr, die mir vorschreibt, wie ich den richtigen Weg zu Gott finde, denn Gott ist längst da und gibt mir die Möglichkeit, mit seinen Gaben in einen Bund zu treten, der mich fähig macht, in den Augenblicken der gegenwärtigen Zeit, seine Stimme zu hören, seine Gaben zu empfangen und ohne Sorgen durchs Leben gehen zu dürfen.
Das hört sich vielleicht leicht an. Ist es für mich aber auch nicht. Wie ich schon sagte, muss ich das jeden Tag neu üben und bin immer noch erstaunt und fanziniert, wenn ich in meiner ganz persönlichen Gegenwart tatsächlich Gott begegne und seine Unendlichkeit erkenne - im Gegensatz zu meiner Endlichkeit.
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