Nun bin ich schon mehr als ein halbes Jahr hier, in meinem
Geburtsort, in der Nähe vieler meiner ursprünglichen Familienmitglieder. Gerade
habe ich den Eindruck, die erste Hürde meines Hierseins geschafft zu haben. Ich
bin nicht mehr so alleine und es zeigen sich bei mir wieder vermehrt
Hoffnungslichter, auf Dinge, die noch in der näheren Zukunft geschehen könnten.
Trotz und gerade mit meinen körperlichen
Einschränkungen.
Mein vergangenes Leben ist geprägt von vielen kleinen und
großen Veränderungen. So, dass ich manchmal den Eindruck habe, ganz viele
verschiedene Leben gelebt zu haben. Im Zusammenhang gesehen zeigt diese
Rückschau allerdings, dass es eher wie ein Mosaik alles dazu geführt hat, dass
ich so jetzt hier lebe, wie ich durch die vielen kleinen Mosaiksteinchen meines
Lebens geworden bin.
Meine eigene bisherige Lebensgeschichte zeigt mir auch, dass
man keinen Menschen wirklich nach dem äußerlichen Verhalten beurteilen kann. Es
spielen immer so viele verschiedene Aspekte eine Rolle, dass es manchmal nach der
„Norm“ unserer Gesellschaft einfach „falsch“ aussieht. Von vielen Menschen
wurden auch Urteile ausgesprochen, welche mich an manchen Stellen ins Wanken
brachten. Und dennoch konnte ich weitere Wege finden, welche von den gegangenen
abzweigten.
Besonders auffällig ist da mein häufiger Orts- und
Arbeitsplatzwechsel. Sehr oft wurde ich kritisiert, dass ich nicht den
Unwegbarkeiten meines Lebens durch weglaufen ausweichen kann. Ich habe erlebt,
dass ich es genau deshalb konnte. Gerade diese Chancen des Neuanfangs, nach dem
Scheitern, haben mein Leben unwahrscheinlich reich gemacht. Es waren, wie
gesagt, Chancen, die ich nutzen konnte und auf diese Weise neue Perspektiven
entdeckt habe. Auch wenn ich es manchmal bedauert und betrauert habe,
Altbekanntes verloren zu haben, weiß ich in der Rückschau, dass mich ein
Verharren in dieser Situation lahm gelegt hätte und mir die Chancen genommen
hätte, Wege und Dinge zu entdecken, die vorher unerreichbar erschienen.
Nun bin ich hier, quasi an dem Ausgangspunkt wieder
angekommen: den Ort, in dem ich geboren wurde, in der Nähe von einem Teil aus
der Familie, in die ich hinein geboren wurde. Ich habe fünf Geschwister, von denen vier, mit
ihrer zahlreichen Nachkommenschaft, im näheren Umkreis meiner jetzigen Wohnung leben. – Das kommt noch nicht einmal davon, dass sie
alle in ihrem alten Umkreis geblieben wären. Eine Schwester war sogar mit ihrer
Familie zwei Jahre in Afrika. Aber irgendwie haben sie wieder alle hierher
zurück gefunden. So wie ich ja nun auch. Und das ist ganz sicher nicht darum
passiert, weil die Örtlichkeit hier so wunderschön ist. Mir scheint eher, es
ist nun an der Zeit, unsere ganzen „Familiengeschichten“ aufzuarbeiten – jeder für
sich und auch für- und miteinander.
Und das ist eine sehr interessante Sache, die mich jetzt
gerade wieder beflügelt, die Zukunft in den Angriff zu nehmen. In den
Gesprächen, die wir schon bisher geführt haben, merke ich erstmal, wie
unterschiedlich wir Geschwister einander und die gesamte Familie erlebt und für
sich verarbeitet haben. Besonders mit
meiner um anderthalb Jahre älteren Schwester
(wir sind die beiden Ältesten und haben die meiste Zeit in der Familie
gemeinsam erlebt) haben wir beide sozusagen einige „Aha-Erlebnisse“, wenn wir
darüber austauschen, wie wir einander erlebt haben – und welches Verhältnis wir
zu den Eltern hatten. Ich glaube, das
könnten Gründe sein, warum ich wieder mehr hier aufschreiben kann. Ich will
natürlich keine intimen Familiengeschichten hier veröffentlichen. Eher Wege
festhalten, zur Erinnerung und Ermutigung für mich selbst – und vielleicht sogar
auch für den einen oder anderen Leser.
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